2. Die Musik in Berlin von den Anfängen bis 1989
Eine breite Musikpflege, zentriert auf den kurfürstlichen Hof, ist erst seit der Reformation zu verzeichnen. Nach der Umwandlung Berlins in die königliche Residenz Friedrich (III.) I. (1688-1713) 1701 wurden die höfischen Festlichkeiten zahlreicher und prächtiger, und mit der Hofkapelle entstand ein modernes Orchester. Unter Friedrich II. (1740-86) erhielt der Hof eine neue Kapelle mit berühmten Virtuosen wie Johann Gottlieb Graun und Carl Philipp Emanuel Bach. Aus ihr ging die Königliche Kapelle, später die Staatskapelle hervor. Um Johann Joachim Quantz, den Flötenlehrer des Königs, bildete sich ein Komponistenkreis, der v.a. die Leipziger Bach-Tradition weiterführte.
Das städtische Musikleben entwickelte sich ab 1579 mit den Stadtpfeifereien, denen sich später Trommlergruppen anschlossen. Aus ihnen entstand im 18. Jh. die für Berlin charakteristische Militärmusik der Bürgerwehr. Sie wurde schließlich von anspruchsvoller Orchestermusik verdrängt. In der Kirchenmusik ist in der ersten Hälfte des 18. Jh. ein Niedergang zu verzeichnen, berühmte Kantoren hat Berlin nie hervorgebracht.
Die Oper entwickelte sich erst relativ spät in Berlin. Das ständige Auf und Ab dieser kostspieligen Gattung ist im Zusammenhang mit den jeweiligen Militärausgaben der Hohenzollern zu sehen. 1690 wurde am Hof zum ersten Mal nicht mehr französisches Musiktheater, sondern ein deutsches Singspiel aufgeführt ("Der Scheerenschleifer, Singspiel in der Wirthschaft zu Cölln an der Spree"), 1700 fand die erste urkundlich belegte italienische Opernaufführung vor wenigen geladenen Gästen statt. Doch schon zwei Jahre später konnte auch die Öffentlichkeit in einem kleinen Theater gegen Eintrittsgeld Opern besuchen. An der 1742 eröffneten Königlichen Hofoper war zunächst der Kapellmeister und Hofkomponist Carl Heinrich Graun bestimmend, ab 1787 wurde Carl Ditters v. Dittersdorf der Liebling des Berliner Publikums. Die Königliche Hofoper entwickelte sich zwar rasch zur Bühne von internationalem Rang, blieb aber an zweiter Stelle nach der Opernstadt Dresden. Allzu lange hatte es gedauert, bis Richard Wagners Musikdramen aufgeführt werden durften. Obwohl Richard Strauss Kapellmeister an der Oper war, mußten seine Werke andernorts uraufgeführt werden, da Kaiser Wilhelm II. (1888-1918) sie als "Rinnstein"-Kunst aus der Stadt verbannte. Immerhin gab es Nischen für die Avantgarde: Hans Gregor entwickelte an seiner Komischen Oper ab 1905 eine moderne Opernregie. Damit legte er den Grundstein für Berlin als Zentrum der unkonventionellen, avantgardistischen Oper in den 20er Jahren, als Otto Klemperer sich an der Krolloper auf die Aufführung zeitgenössischer Werke konzentrierte. Ab 1947 knüpfte Walter Felsenstein - nun wieder mit der Komischen Oper - an Gregors regiebetonten Inszenierungsstil an und revolutionierte die Oper zum realistischen Musiktheater.
Neben den genannten Opernhäusern gab es noch eine Reihe größtenteils privater Unternehmungen, vom 1824 gegründeten Königstädtischen Theater, das auf italienische Opern spezialisiert war und 1850 Bankrott ging, über das Viktoriatheater mit seinen zyklischen Aufführungen des "Ring der Nibelungen" bis zur Volksbühnen-Institution Große Volksoper.
Während sich Berlin bald als Opernstadt einen Namen machen konnte, und auch der Chorgesang in der 1. Hälfte des 19. Jh. wieder stark entwickelt war, wurde die Pflege der Instrumentalmusik lange vernachlässigt. Sie erreicht spät, mit der Gründung der Bilseschen Kapelle 1867, ein hohes Niveau. Als Abspaltung entstand 1882 das Berliner Philharmonische Orchester unter Ludwig v. Brenner. Es setzte sich ausdrücklich das Ziel, zeitgenössischer Musik in Berlin den Weg zu ebnen. Seitdem prägten die wichtigsten Dirigenten - Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler und viele mehr - mit den Philharmonikern das Berliner Musikleben. Inzwischen hatte auch das Orchester der Königlichen Hofoper, die Königliche Kapelle, im Konzertbetrieb auf sich aufmerksam gemacht. Ihr unter Richard Strauss erreichtes Niveau konnte sie - nunmehr als Staatskapelle - unter Wilhelm Furtwängler, Hermann Abendroth und Erich Kleiber weiter erhöhen.
Mit diesen beiden Orchestern wurde Berlin um die Jahrhundertwende zur Musikmetropole. Die Studenten mehrerer Ausbildungsstätten konnten sich von Ferrucio Busoni, Max Bruch, Engelbert Humperdinck und Arnold Schönberg in Komposition, von Joseph Joachim und Fritz Kreisler auf der Violine, von Arthur Schnabel und Conrad Ansorge am Klavier unterrichten lassen. Neben Leipzig und Wien entwickelte sich Berlin allmählich auch zur Musikverlagsstadt. Das rege Musikleben schlug sich in einer hohen Konzertfrequenz nieder: In den 20er Jahren besaß die Stadt schließlich 21 regelmäßig bespielte Konzertsäle.
Die 20er Jahre waren in der M. - wie in den anderen Kunstgattungen - die Sturmzeit der Avantgarden. Was Klemperer im Bereich der Oper erreichte, leistete Max Butting auf dem Gebiet der Konzertmusik mit der Berliner Novembergruppe, die Hans Heinz Stuckenschmidt organisierte. Der Berliner Dirigent Hermann Scherchen, der damals für "Tonalitätsdurchbrechung" und einen auf alle Lebensbereiche ausgreifenden musikalischen Aktivismus eintrat, gründete die maßgebliche deutsche Avantgarde-Musikzeitschrift Melos. Bei der Bewertung einer Stadt als Musikmetropole muß auch die Akzeptanz Neuer Musik berücksichtigt werden. Die Abonnementskonzerte des Berliner Philharmonischen Orchesters ab 1925 unter Bruno Walter und Carl Schuricht mit zeitgenössischen Werken waren gefeierte Ereignisse.
Unter der Diktatur der Nationalsozialisten brach das Musikleben zwar nicht zusammen, es kam sogar zu zahlreichen Uraufführungen - allerdings von Werken, die nicht unter das Verdikt "Entartete Musik" fielen. Schuricht konnte indes immerhin 1940 noch "Hamlet" von Boris Blacher mit den Philharmonikern uraufführen. Furtwängler trat 1934 von seinen Ämtern zurück, während Herbert v. Karajan an der Staatsoper Unter den Linden Generalmusikdirektor wurde.
Das erste Konzert des Philharmonischen Orchesters nach dem II. Weltkrieg dirigierte Sergiu Celibidache am 26.5.1945 im Titania-Palast in Steglitz. Auch in den folgenden Jahren arbeitete er regelmäßig mit den Philharmonikern in Berlin; künstlerischer Leiter und ständiger Dirigent des Orchesters, Berlins Aushängeschild, wurde indes 1955 Karajan auf Lebenszeit. Er prägte fortan nicht nur das Berliner Konzertleben, sondern erhob auch zunehmend seine Ästhetik des abgerundeten Wohlklangs zum herrschenden Geschmack und machte klassische M. damit populär. In der Spätphase seiner Dirigentschaft vernachlässigte das Orchester die Bemühungen um zeitgenössische Werke. Diesen Anspruch formulierte erst wieder Claudio Abbado, als er 1990 sein Amt in der Nachfolge Karajans antrat.
Während bei den West-Berliner Orchestern die berühmtesten Solisten und Dirigenten der Welt mit Ausnahme Carlos Kleibers oft und regelmäßig gastierten, konnten die Klangkörper Ost-Berlins kaum Erfahrungen mit internationalen Musikern sammeln. Bestimmend im dortigen Musikleben wurden Komponisten, die sich mit ihrer Rückkehr aus dem Exil für das sozialistische Experiment entschieden, wie - trotz aller Konflikte - Hanns Eisler und Paul Dessau, dessen Opern alle an der Deutschen Staatsoper uraufgeführt wurden.
Neben dem repräsentativen Konzertbetrieb wurde in den 80er Jahren die Tradition der Gartenkonzerte des 19. Jh. in veränderter Form weitergeführt und durch Hofkonzerte ergänzt. Mit ihnen und den Konzerten in Museen unter dem Titel Schauplatz Museum bemühen sich Berliner Kulturschaffende um neue Interessenten klassischer M.
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